Neuhof. Der Schiedsrichter leitet das Fußballspiel und verschafft den Fußballregeln Geltung. Er besitzt zudem unmittelbare Disziplinargewalt auf dem Spielfeld, wozu er unter anderem gelbe und rote Karten bei eklatanten Regelverstößen verteilen kann. Also, im übertragenen Sinn, ein Richter auf dem Platz. Eine respektable Instanz. Im Idealfall.
Mit „Respekt“ haben allerdings nicht selten Feldspieler, Trainer, Betreuer und vor allem auch die Fans einer Mannschaft so ihre Probleme. Nicht selten avanciert der Unparteiische zur „ärmsten Sau“ auf dem Platz, wenn er etwa mit seinen Entscheidungen auch mal daneben liegt, was nur allzu menschlich ist.
Was sind das für Typen, die sich dieses antun und sich freiwillig Anfeindungen, Beleidigungen und bisweilen auch körperlichen Attacken aussetzen?
Dirk Radke: „Der Schiri sollte schon als Respektperson wahrgenommen werden“
Unser Blick fällt auf die Neuhofer Zwillinge Dirk („Ich bin 5 Minuten älter als mein Bruder“) und Jan Radke, 28 Jahre alt, geboren im Sternzeichen Krebs. Im Jahr 2017 erlangten beide den Schiedsrichter-Schein für die Kreisliga (Jan) und die I. Kreisklasse (Dirk), nachdem beide bereits im zarten Alter von sechs Jahren, ohnehin wohnhaft am Klingenberg, als aktive Kicker bei Blau-Weiß Neuhof in der „Pampers-Liga“ angefangen und zehn Jahre später die Trainer-Lizenz für Jugendmannschaften erworben hatten.
Ein erstes Hineinschnuppern ins Schiedsrichter-Metier erfolgte für beide schon als jugendliche Kicker. „Da in der U14 noch keine Schiris angesetzt sind, haben wir des Öfteren den Job übernommen“, verrät Dirk.
„Jedes Spiel ist für mich stets eine persönliche Herausforderung, die Disziplin und Fairness auf dem Platz zu gewährleisten und meinen eigenen Ansprüchen als Unparteiischer gerecht zu werden“, so Dirk. Er pfeife einfach gerne, auch wenn er wisse, dass es sich „beim vorherigen Blick auf die Fairness-Tabelle um ein anstrengendes Spiel handeln könnte“.
„Ich bin keiner, der gleich die Karte zückt“
Man müsse bisweilen schon ein „dickes Fell haben“, ist der ausgebildete Technische Zeichner und Systemplaner für Lüftungsanlagen mit Arbeitsplatz in Hannover überzeugt. Was ihm hilft: „Wenn ich selbst kicke, bin ich manchmal auch ziemlich laut. So kann ich mich gut in die emotionale Situation des Spielers hineinversetzen.“ Gibt es für ihn auch eine Rote Linie? „Na klar, vor allem wenn Verletzungen des Gegners bewusst in Kauf genommen werden. Körperliche Gewalt auf dem Fußballfeld geht gar nicht.“ Allerdings, so Dirk, habe er noch nie in seiner Schiedsrichter-Karriere eine Rote Karte gezogen. Und auch mit Gelben Karten gehe er eher zurückhaltend um.
Bruder Jan, zwar ein paar Minuten jünger, dafür aber auch mit 1,80 Meter zwei Zentimeter größer, ist davon überzeugt, dass sein Engagement als Schiedsrichter „auch den eigenen Charakter stärkt“. Ein bisschen „psychologisches Gespür“ sei beim Pfeifen schon sehr hilfreich. Bei den Gelben Karten ist Jan, wie er verrät, schon ein wenig „großzügiger als mein Bruder“. Jan, seines Zeichens Konstrukteur für Gießereianlagen bei einer Alfelder Firma, hält es für wichtig, „von Anfang an eine klare Linie zu fahren und den Spielern Grenzen aufzuzeigen“. Auch Jan hat in seiner aktiven Zeit als Schiri noch keine Rote Karte verteilen müssen. Das spricht sicherlich für die Akzeptanz und Souveränität der Zwillinge auf dem Platz.
Vieles im Leben der beiden erfolgt, wie wir sehen, im Gleichschritt: identischer Sportverein („Etwas anderes als die `Kirschen` kam für uns nie in Frage“), aktive Spieler, Trainer (heute trainiert Dirk die U13 und Jan die II. Herren) und auch noch Schiedsrichter. Und auch beim Lieblingsverein in der Fußball-Bundesliga sind die beiden sich einig: „Natürlich die Bayern“, klingt es unisono. Ein Vorbild unter den Profi-Schiedsrichtern der Bundesliga haben die Zwillinge indes nicht.
„Mit der Freundin ein Häuschen in Neuhof bauen“
Und auch bei den gegenseitigen Charaktereigenschaften sehen die beiden durchaus Parallelen: „Ausgeglichen, logisch denkend, strukturiert, zuverlässig, ruhig, optimistisch“, geben sie übereinstimmend zu Protokoll. Kein Wunder, dass bei der Ähnlichkeit der beiden, freilich auch äußerlich, ein ehemaliger Trainer schon mal zu einem Trick greifen musste: „Die haben Dirk von der D- bis zur A-Jugend einfach ins Tor gestellt, damit sie uns beim Spiel auseinander halten konnten“, verrät Jan. Ein genialer Schachzug!
Ein paar Unterschiede gibt es, bei näherer Beschäftigung mit den Zwillingen, sehr wohl: Jan trägt eine Brille und ist seit acht Jahren mit seiner Freundin Madeleine zusammen, während Dirk (noch) Single ist. Ach ja, und Jan, der Jüngere, hat einen Vierbeiner der Rasse Labrador, der viel Zuwendung beanspruche. Gibt es noch weitere Hobbys der beiden? Bei den zahlreichen sportlichen Engagements der Zwillinge erübrigt sich diese Frage. Jan: „Wir haben einfach keine Zeit.“
Ihr habt beide einen Wunsch frei. Welcher wäre das? Dirks Antwort: „Einfach gesund bleiben.“ Jan. „Fußballerisch Erfolge feiern und zusammen mit meiner Freundin ein Häuschen in Neuhof bauen.“ Mögen diese Wünsche der beiden überaus sympathischen Sportler in Erfüllung gehen.
Torsten Becker
Teaser-Foto: Die Zwillinge Dirk (links) und Jan Radke. Mit ganzem Herzen Blau-Weiße und als aktive Kicker, Trainer und Schiedsrichter schon eine Rarität.
Bilder-Galerie: Foto-Archiv Blau-Weiß Neuhof / Torsten Becker